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Beitrag vom 26.08.2010
Marie Fisker - Ghost Of Love
Evelyn Gaida
Auf ihrem Debütalbum ist die Dänin dem Gespenst einer verlorenen, aber untoten Liebe verfallen, das sich um Zeit, Raum und Realismus nicht schert. Mit ihren Songs übt Fisker selbst einen Bann aus.
Hypnotisch und erdverbunden zugleich, ist jedes Lied ein feingewirktes Stück musikalisches Kunsthandwerk, das zwischen folkiger Singer-Songwriter Akustik und getriebenem Alternative Rock mit Blues- und Country-Elementen pendelt. Das Album klingt dabei wie eine Hommage an seine unüberhörbaren künstlerischen Einflüsse, vor allem Mazzy Star, PJ Harvey und Madrugada. Marie Fisker macht sich diese Anklänge jedoch mit der Versunkenheit ihres Gesangs, der Intensität ihrer rauen, melancholisch-sinnlichen Stimme und der Intimität ihrer Arrangements zu eigen. Kunstvoll verbinden sich die Soundreflexe am Epigonentum vorbei, zu etwas, das den Namen der 34-Jährigen trägt.
Die gebürtige Kopenhagenerin ist keine Unbekannte mehr. In der dänischen Hauptstadt richtete sie Anfang 2000 ein Studio im Hinterhof eines alten Hauses ein, wo sie zu ihrem eigenen Klang fand. Zusammengearbeitet hat Fisker dort mit vielen eingeladenen MusikerInnen, "Ghost Of Love" produzierte sie mit Ex-Raveonettes-Schlagzeuger Jakob Høyer. In Dänemark erschien das Album bereits 2009 und wird aufgrund seiner Überzeugungskraft nun in Deutschland veröffentlicht. Ihre außergewöhnliche Stimme lieh Fisker mehrmals dem erfolgreichen dänischen Techno- und Houseproduzenten Anders Trentmøller, gemeinsam traten sie beim Roskilde Festival 2009 vor 50.000 Menschen auf. Im Herbst 2010 wird sie ihn auf Tour begleiten und spielt zuvor am 9. und 10. September in Berlin und am 23. September in Hamburg.
Einem archaischen Naturschauspiel in nordischer Einsamkeit vergleichbar, entfalten Fiskers Songs ihre mystische Wirkung, unter deren Oberfläche eine dunkle Leidenschaft pulsiert. Obwohl von Einfachheit in der Machart geprägt, erschöpfen sie sich nicht an unvorhergesehenen instrumentalen Details und Kombinationen. Bereits mit dem ersten Lied, das denselben Titel wie das Album trägt, senken sich schwere Wolken auf die HörerInnen herab und ziehen sie hinein in einen Verlust, auf dem die Sängerin treibt wie auf schwarzem Gewässer, umgeben von Abwesenheit. Das gleichmäßige, aber schmerzbeladen nachschleppende Spiel einer Akustik-Gitarre wird von einer durchdringenden E-Gitarre zerschnitten, Fiskers Gesang hier eine Art fatalistische Meditation. Damit nicht genug, kommt ein sparsames Klavier-Understatement hinzu, das sich anfühlt, als würde man über einen abrupt abfallenden Hügel fahren. So erhebt sich in Fiskers Klanglandschaften aus der Tiefe oder Ferne immer wieder die Stimme eines simplen Parts – sei es Gitarre, Klavier, Tambourin – mit einschneidendem emotionalem Effekt. Ein neuer Spalt tut sich auf, das Licht wird ein weiteres Mal gebrochen, eine Unterströmung kommt unaufhaltsam herein, die Jahreszeit wechselt (zumeist zwischen Herbst und Winter oder wehmütig erinnertem Spätsommer in "Jack Of Heart"), ein mysteriöses Echo antwortet.
Mit "Hold On To This For A While" wird die Stromstärke drastisch erhöht, die E-Gitarre setzt ein wie ein knurrender Hund, der sich langsam nähert, das Schlagzeug dröhnt wütend. Fisker zieht ihre Kohorten zusammen, ihr Gesang wird zur beschwörenden Anrufung, jeder Ton und jedes Wort scheinen erst noch innezuhalten, um dann unausweichlich und unmissverständlich zu treffen: "Can you hear me now? I´m gonna say this out loud. I love you. It burns brightly as a star. I know you see it, I know you feel it burning in the night."
In jedem einzelnen Song baut die Musikerin eine Spannung auf, ein magnetisches Kraftfeld, das sich immer quälender verdichtet - Bass, Gitarre, Schlagzeug häufig als tiefgestimmte Sirenen, die lustvoll ins Dunkle tänzeln. Eine Form von hellem Klirren bildet zumeist den Gegenpol, zersplittert sich in die Weite des Raumes, mal winterlich klares Glockenspiel, mal lockende Fußrassel. Fiskers Stimme hält die ausschwärmenden Fäden zusammen. Rau und voll durchstreift sie die staubigen Lande, spielt souverän, geradezu lässig ihre Bandbreite aus und kann sich momentan zu gläserner Fragilität oder dicken, geschmolzenen Wachstropfen wandeln. Durch die Wolkendecke bricht Verletzlichkeit.
Der besungene "Ghost of Love" lässt unweigerlich an PJ Harveys gemartert geniales "To Bring You My Love" (1995) denken. Zu Eskalationen und blutigem Aderlass kommt es jedoch nicht, Fisker geht über eine bestimmte Grenze nicht hinaus. Ihre Konzentration findet keine Erlösung, auch nicht durch den Abgesang am Ende: "Goodbye darling, I´ve been good till now." Die Musikerin lässt sich treiben, der Exorzismus bleibt aus.
AVIVA-Tipp: Verhalten ekstatisch, dunkel beschwörend, versunken meditierend ist Marie Fiskers Debüt "Ghost Of Love" eines der seltenen Alben, die von Anfang bis Ende in immer anderen Ausgestaltungen, Folk bis Alternative Rock, großartig sind. Das gilt auch für die besondere Stimme der Dänin. Wie tanzende Lichtreflexe im Wechselspiel mit lasziv düsterem Grollen schreiben sich ihre Songs klanglich fort und scheinen sich zu verselbständigen, von geheimnisvollen Mächten durchdrungen.
Marie Fisker
Ghost Of Love
Label: Maryvine Records, VÖ 27.08. 2010
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.mariefisker.com
www.myspace.com/mariefisker
www.facebook.com/mariefiskerdk
www.sonicbids.com/mariefisker
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